Entwicklung und Begriff des Grid Computing
In der letzten Dekade des
vergangenen Jahrhunderts wurden weltweit mehrere größere Initiativen zur
Etablierung von Grid-Infrastrukturen (s. [Berman, Fox, Hey 2003] oder [Foster,
Kesselmann 2004]) für rechen- und datenintensive wissenschaftliche
Forschungsvorhaben gestartet. Zu den bekanntesten dieser national geförderten
Aktivitäten zählten das "Cyberinfrastructure"-Programm der USA,
E-Science in Großbritannien, ChinaGrid in China, in Japan das NAREGI-Projekt,
die EU-Initiative EGEE oder seit 2005 die D-Grid-Initiative in Deutschland.
Ebenso gibt es eine umfangreiche Förderung von Grid-Technologien in der EU
(z.B. BEinGRID).
Dabei wird unter dem Begriff der
Grid-Technologie verstanden, über das Internet geographisch verteilte
physikalische IT-Ressourcen (Rechner, Speicher, Netzwerke), informationelle
Ressourcen (Datenbanken, Archive, Messinstrumente), Softwaredienste und
menschliche Expertise zu einer ganzheitlichen Ressource zu verknüpfen und in
vereinheitlichter Form über Organisations- und Unternehmensgrenzen hinweg
nutzbar zu machen. Hierdurch entstehen virtuelle Organisationen (VO), über die
Sicherheits- und Zugriffsrichtlinien zur Ressourcennutzung verwaltet werden. Die
gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen in einem Grid ist nur mit Hilfe
spezieller Middleware-Systeme realisierbar, die Basisdienste für die Entwicklung
von Grid-Anwendungen bieten. Die wesentlichen Funktionen umfassen dabei besonders
die Bereiche Nutzerauthentifizierung sowie Ressourcennutzung. Zu den
bekannteren Systemen zählen Globus Toolkit, gLite und UNICORE. In Anlehnung an
die Nutzung des elektrischen Stromnetzes (Electrical Power Grid) für
vielfältige Zwecke ist die Metapher der Computerleistung aus der Steckdose für
Grid Computing üblich.
Eine große wissenschaftliche
Vereinigung auf dem Gebiet des Grid Computing ist das Open Grid Forum (OGF),
das Standards und Spezifikationen für verschiedene Bereiche konsolidiert. Einer
der wichtigsten Standards ist die Open Grid Service Architecture (OGSA), welche
die Idee der Service-orientierten Architektur (SOA) mit dem Ansatz des Grid
Computing kombiniert. Die Grundidee des OGSA-Konzepts besteht in der
Virtualisierung und Verbindung von IT-Ressourcen durch Web Services (s. [Melzer
2010]). Durch die Orchestrierung von lose gekoppelten Grid Services lassen sich
so komplexe Geschäftsprozesse von verschiedenen Anwendungen und Akteuren unter
Verwendung entsprechender Management-Tools abbilden. Die sich hieraus ergebende
Weiterentwicklung von Resource Grids hin zu Service Grids kommt dem Konzept des
Cloud Computings recht nahe, wobei der Zugang und die Ausprägung der Dienste
des Cloud Computing sehr viel einfacher gestaltet sind als die Dienste des Grid
Computing. Während es beim Grid Computing keine zentrale Steuerungsinstanz gibt,
existiert im Cloud Computing ein Anbieter, der seine Leistungen über Schnittstellen
nach außen bereitstellt. Daraus resultiert die einfachere Nutzung, die es im
Falle des Cloud Computing erlaubt, mit standardisierten Zugriffsmöglichkeiten
zu arbeiten, während beim Grid Computing meist speziell auf das jeweilige
Anwendungsgebiet zugeschnittene Software entwickelt werden muss.
Die
Entwicklung des Grid Computing wird auch wesentlich durch wissenschaftliche
Communities getrieben. Als Vorzeigebeispiel für die Entwicklung und Nutzung des
Grid Computing gilt das CERN in Genf mit seinen weltweit vernetzten
Forschergruppen, deren Rechner- und Auswerteressourcen sowie dem
Beschleunigerring als teures Experimentierlabor. Wie dieses Beispiel belegt,
sind die weltweiten Forschungsaktivitäten auf das Ziel der Verbesserung und
Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten durch Grid Computing
in den Grundlagenwissenschaften ausgerichtet und setzen deren
gemeinschaftliche/kooperative Nutzung voraus. Für diese Art der globalen
Zusammenarbeit auf Gebieten mit rechenintensiven Problemen und großen
Datenmengen wie in Medizin, Biologie, Chemie, Klimaforschung oder
Materialwissenschaften hat sich seit dem Jahr 2000 der Begriff
"e-Science" etabliert.
Grid-Technologie und Wertschöpfung
Aufgrund der wissenschaftlich
geprägten Grundausrichtung finden sich nur wenige Aktivitäten, welche den
Nutzen des Grid Computing für ökonomische Wertschöpfungsprozesse unter
marktwirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen erforschen. Diese
Einsatzbedingungen stellen neben der Erarbeitung einer Grid Ökonomie und entsprechender
Geschäftsmodelle neue Herausforderungen an Fragestellungen bezüglich
Lizenzmanagement, Skalierbarkeit, Sicherheit, Standardisierung,
Service-Level-Agreements, Accounting, Billing, Softwaretechnik und
Systemarchitekturen.
Man kann davon ausgehen, dass die
Hebung ökonomischer Nutzeffekte Rückwirkungen auf die optimale Gestaltung und
laufende Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen von Abläufen in
Wertschöpfungsnetzen haben werden. So ist wohl die klassische Trennung der
IT-Infrastrukturen in Unternehmen in ingenieurtechnische (CAX) und
betriebswirtschaftliche wie Systeme für ERP, CRM oder SCM und PDM nicht mehr
länger haltbar. Die heterogenen IT-Ressourcen eines Unternehmens sind im Sinne
einer service-orientierten Gesamtarchitektur flexibel zu nutzen. Eine solche
Gesamtarchitektur bedarf einer horizontalen Integration vom Lieferantennetzwerk
bis zu den Kunden als auch einer vertikalen Integration, der meist in Echtzeit
betriebenen Automatisierungssysteme mit der häufig offline betriebenen Optimierung
von Geschäftsprozessen (s. Real-Time Enterprise, [Drobnik, Raskino, 2002]). Das
Ziel der Unternehmensführung, die durch service-orientiertes Grid-Computing
unterstützt wird, könnte dann das kundenintegrierte Management des Lebenszyklus
eines jeden Produkts in Echtzeit sein (s. Interaktive Wertschöpfung,
[Reichwald, Piller, 2009]).
Der Einsatz des Grid Computing
unter den genannten Bedingungen lässt eine Reihe von ökonomischen
Nutzenpotenzialen erkennen. So wird durch Optimierung virtueller Wertschöpfungsketten
die Zeit für den Entwurf, die Entwicklung und die Herstellung innovativer
Produkte - die Time-to-Market - verkürzt werden können. Dabei ermöglicht das
Grid Computing Zugriff auf IT-Technologie, die sich ein einzelnes Unternehmen
in der Regel nicht leisten kann. Ein weiteres Nutzenpotenzial besteht in der
Reduzierung inner- und überbetrieblicher Transaktionskosten der
Geschäftsprozesse. Ebenso trägt zu dieser Reduzierung die Durchgängigkeit der
ingenieurtechnischen als auch der betriebswirtschaftlichen Prozesse auf der
Basis eines Produktlebenszyklusmanagements bei. Ein weiterer Nutzen des Grid
Computing kann generell darin gesehen werden, dass Überlastspitzen der
Nachfrage nach Rechen- und Speicherressourcen abgefangen werden können.
Literatur
Berman, F.,
Fox, G. Hey, A. (Hg.): Grid Computing, Wiley, 2003
Drobnik,
A.; Raskino, M.; Flint, D.; Austin, T.; MacDonald, N.; McGee, K.: The Gartner
definition of real-time enterprise, Tech. Report, Gartner Inc., 2002
Foster, I.,
C. Kesselman (Hg.): The Grid 2: Blueprint for a new computing infrastructure,
Morgan Kaufmann, 2004
Melzer, I.: Service-orientierte Architekturen mit Web
Services, Spektrum Akademischer Verlag, München, 2010
Reichwald, R., Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung, Gabler,
Wiesbaden, 2009
Autor
Prof. Dr.-Ing. Manfred Grauer, Universität Siegen, Institut für Wirtschaftsinformatik, Hölderlinstraße 3, 57068 Siegen
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