OntologienEine Ontologie ist ein formales Wissensmodell, das im Wissensmanagement, in Experten- und Multiagentensystemen, bei der Informationsintegration und insbesondere im Semantic Web für die Bereitstellung von Wissensstrukturen, für Wissensorganisation oder als Basis der automatisierten Wissensverarbeitung genutzt wird. GrundlagenDer Begriff der Ontologie hat zwar eine lange Tradition in der Philosophie und den Sprachwissenschaften, wurde aber erst in den 1990er Jahren als technischer Terminus der Künstlichen Intelligenz in die Informatik eingeführt (vgl. [Staab, Studer 2004]). Die ursprüngliche Motivation war:
Eine möglichst vollständige aktuelle Definition umfasst folgende Aspekte: Eine Ontologie ist:
Einige dieser Begriffe seien weiter erläutert:
Arten und Inhalte von OntologienEs gibt vielfältige Arten und auch Klassifikationen von Ontologien, vgl. [Gomez-Perez et al. 2004]. Eine der weitest zitierten Klassifikationen geht auf Guarino zurück (vgl. [Guarino 1998]) und unterscheidet (1) Top-Level Ontologien (sehr allgemeine Konzepte, die die Welt grundsätzlich strukturieren); (2) Generische Ontologien (häufig wiederverwendbare Modelle von wichtigen Aspekten der Welt, wie Zeit, Raum, usw.); (3) Domänen-Ontologien (beschreiben anwendungsunabhängig einen Diskursbereich, bspw. Maschinenbau oder Lungenkrankheiten; instanziieren und verfeinern (1) und nutzen (2)); (4) Aufgaben-Ontologien (beschreiben domänenunabhängig Aufgabentypen und ihre Wissenszusammenhänge, bspw. Diagnose; instanziieren (1) und nutzen (2)); (5) Applikations-Ontologien (führen (3) und (4) für ein wissensbasiertes System zusammen). Eine weitere nützliche Klassifikation geht auf van Heijst zurück (vgl. [van Heijst et al. 1997]) und unterscheidet (A) Terminologische Ontologien (beschreiben insbesondere, wie Menschen über eine Domäne reden; bilden also die Verbindung zu Thesauri, Information Retrieval etc.); (B) Informationsontologien (beschreiben die Struktur und Meta-Eigenschaften von Informationsquellen, könnten also insbesondere in der Informationsintegration Verwendung finden); (C) Wissensontologien (stellen sehr detaillierte und formal "saubere" Wissensmodelle dar, wie man sie bspw. in Expertensystemen benötigt). Bereiche mit bereits sehr umfangreicher und erfolgreicher "ontologischer Durchdringung" sind beispielsweise die Genetik und Genom-Forschung oder auch Medizin und Lebenswissenschaften insgesamt (s. z.B. http://www.geneontology.org/). Bekannte Top-Level Ontologien sind DOLCE [Gangemi et al. 2002] oder die IEEE Sugested Upper Merged Ontology (SUMO, vgl. http://suo.ieee.org/SUO/SUMO/). Im Bereich eher leichtgewichtiger Ontologien hat das Format FOAF (friend-of-a-friend, siehe http://www.foaf-project.org/) zur Beschreibung von Menschen, ihren Internet-Präsenzen und ihren sozialen Netzwerken eine große Verbreitung erlangt. Wichtige Informationsontologien betreffen z.B. die Beschreibung von Web Services mit Metadaten (s.w.u., vgl. zum Beispiel OWL-S, WSMO oder WSDL-S vgl. [Studer et al. 2007]). Ontologie-NutzungHeute kann man die Hauptanwendungsfelder von Ontologien im Semantic Web und im Wissensmanagement identifizieren:
Darüberhinaus gibt es mancherlei aktuelle Forschungsfragen und spezielle Ansätze, wie z.B. die Idee des Semantic Desktop, die Nutzung von ontologischem Hintergrundwissen im Data Mining oder die Kombination von ontologiebasierten Ansätzen und Methoden der Social Software. Grundsätzlich bieten sich ontologiebasierte Methoden an, wenn sehr verfeinerte Auswertungen erforderlich sind oder wenn ein sehr komplexer oder unübersichtlicher Anwendungsbereich komfortable Modellierungsmethoden als zusätzliche Abstraktionsebenen erfordert; das Themenfeld der Ambient Intelligence bzw. Pervasive Computing ("Internet der Dinge") bietet hier z.B. für beide Phänomene Herausforderungen. Weitere ontologiebasierte Anwendungen finden sich in [Cardoso et al. 2007]. Ontologie-Erstellung, -Methoden und -WerkzeugeEs gibt eine Reihe weitverbreiteter Methoden zur Ontologie-Erstellung ("Ontology Engineering"), beispielsweise als Fortführungen früherer Modellierungsansätze für Produkte und Prozesse (IDEF5, http://www.idef.com/IDEF5.html ) oder auf der Basis von Geschäftsprozess-Analysen (z.B. DECOR [Abecker 2004]), ebenso wie "native" Ontologie-Modellierungsmethoden, z.B. On-To-Knowledge [Sure 2003] oder METHONTOLOGY [Gomez-Perez et al 2004]. Neuere Ansätze betonen den Einigungsaspekt stärker (z.B. DILIGENT [Vrandecic et al. 2005]), akzentuieren vernetzte und modulare Ontologien sowie den Ontologie-Lebenszyklus und die Ontologie-Evolution über die Zeit hinweg, oder integrieren neuere Ideen aus Informatik und Software Engineering, wie z.B. Entwurfsmuster oder kollaborative Ansätze. Ebenso existieren vielfältige kommerzielle und nicht-kommerzielle Werkzeuge für die Ontologie-Modellierung (vgl. [Gomez-Perez 2004]; insbesondere Protégé, s. http://protege.stanford.edu/ ), für die Speicherung und das Management von Ontologien (z.B. das KAON- oder das NEON-Toolkit, s. http://neon-toolkit.org/ ) oder auch für die Unterstützung des Ontology Engineering mit Methoden des maschinellen Lernens und der Textanalyse [Cimiano 2006]. Weiterhin gibt es natürlich vielfältige nachgelagerte, auf Ontologien beruhende Anwendungssoftware; diese enthält häufig:
In der betrieblichen Praxis ist eine Ontologie als Modell ein zweck-orientiert gestaltetes Ingenieur-Artefakt, bei dem man versucht, durch ausführliche deklarative Beschreibung von Entwurfsentscheidungen der Modellierung die Möglichkeiten der Fehl-Interpretation zu reduzieren und die Möglichkeiten sinnvoller maschineller Interpretation und Verarbeitung zu erhöhen. Grundsätzlich besteht in der betrieblichen Praxis beim Modellieren natürlich ein Zielkonflikt (trade-off) zwischen dem sogenannten "Sharing Scope" und dem Maß an Anwendungsunabhängigkeit einerseits und dem Modellierungsaufwand bzw. der zeitlichen Stabilität einer Ontologie andererseits (vgl. auch [Elst, Abecker 2002]). Ein weiterer trade-off betrifft beispielsweise das Maß an Formalität und Vollständigkeit der Modellierung, welche ein hohes Maß an automatischen Diensten ermöglichen, dafür aber Aufwand und Schwierigkeit der Ontologie-Erstellung und -Wartung erhöhen (s. [Hepp 2007] für eine Diskussion solcher Praxiserwägungen im Ontology Engineering). Aktuelle Herausforderungen im Bereich der Erstellung und Verwendung von Ontologien sind nach wie vor die Ergonomie im Umgang mit großen Ontologien, Kosten-Nutzen-Betrachtungen bei Ontologie-Erstellung und -Evolution, praktische Anwendungsszenarien, skalierbares Reasoning u.v.a.m. LiteraturAbecker, Andreas: Business-Process Oriented Knowledge Management: Concepts, Methods, and Tools. Dissertation, Institut AIFB, Universität Karlsruhe (TH), 2004. Cardoso, Onelio Jorge; Hepp, Martin; Lytras, Miltiadis (Hrsg): Real-world Applications of Semantic Web Technology and Ontologies. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2007. Cimiano, Philipp: Ontology Learning and Population from Text: Algorithms, Evaluation and Applications. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2006. Elst, Ludger van; Abecker, Andreas: Ontologies for Information Management: Balancing Formality, Stability, and Sharing Scope, Expert Systems with Applications, 23(4):357-366, Elsevier, 2002. Euzenat, Jérôme; Shvaiko, Pavel: Ontology Matching. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2007. Gangemi, Aldo; Guarino, Nicola; Masolo, Claudio; Oltramari, Alessandro; Schneider, Luc: Sweetening Ontologies with DOLCE. In: EKAW-2002, S. 166-181. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2002. Gomez-Perez, Asuncion; Fernandez-Lopez, Mariano; Corcho-Garcia, Oscar: Ontological Engineering. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2004. Guarino, Nicola (Hrsg.): Formal Ontology in Information Systems. Amsterdam, Berlin, Oxford: IOS Press, 1998. Gruber, Thomas R.: Toward Principles for the Design of Ontologies Used for Knowledge Sharing. International Journal Human-Computer Studies 43(5-6):907-928, Elsevier, 1995. Heijst, Gertjan van; Schreiber, Guus; Wielinga, Bob: Using Explicit Ontologies in KBS Development. International Journal of Human-Computer Studies 46(2-3):183-292, Elsevier, 1997. Hepp, Martin: Possible Ontologies: How Reality Constrains the Development of Relevant Ontologies. IEEE Internet Computing 11(1):90-96, 2007. Staab, Steffen; Studer, Rudi (Hrsg.): Handbook on Ontologies in Information Systems. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2004. Studer, Rudi; Benjamins, V. Richard; Fensel, Dieter: Knowledge Engineering: Principles and Methods. Data and Knowledge Engineering 25(1-2):161-197, Elsevier, 1998. Studer, Rudi; Grimm, Stephan; Abecker, Andreas: Semantic Web Services – Concepts, Technologies and Applications. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo: Springer-Verlag, 2007. Sure, York: Methodology, Tools and Case Studies for Ontology based Knowledge Management. Dissertation, Institut AIFB, Universität Karlsruhe (TH), 2003. Uren, Victoria; Cimiano, Philipp; Iria, José; Handschuh, Siegfried; Vargas-Vera, Maria; Motta, Enrico; Ciravegna, Fabio: Semantic Annotation for Knowledge Management: Requirements and a Survey of the State of the Art. Journal of Web Semantics 4(1):14-28, Elsevier, 2006. Volz, Raphael (Hrsg.): Semantics at Work: Ontology Management - Tools and Techniques. eBook, verfügbar bei: http://www.lulu.com/content/1969742. Letzter Zugriff: 01.09.2008. Vrandecic, Denny; Pinto, Sofia; Sure, York; Tempich, Christoph: The DILIGENT Knowledge Processes. Journal of Knowledge Management 9(5): 85-96, Emerald, 2005.
Autor![]() Prof. Dr. Rudi Studer, Universität Karlsruhe (TH), Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren - AIFB, 76128 Karlsruhe |